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Rostgans (Tadorna ferruginea)

Aktualisiert am: 27.03.2023
EU-Code:

weibliche Rostgans (Tadurna ferruginea)
weibliche Rostgans (Tadurna ferruginea)
© Foto: S. Sudmann

Aussehen und Verwechslungsmöglichkeiten

Die Rostgans zählt zu den Halbgänsen, einer zwischen Gründelenten und Gänsen vermittelnden Unterfamilie, die in Deutschland auch Kasarkas genannt werden. Sie wird 61-66 cm groß und besitzt eine Flügelspannweite von 121-145 cm. Die Männchen haben ein Gewicht von durchschnittlich 1,4 kg, die Weibchen von 1,2 kg. Aufgrund der rostroten Körperbefiederung ist die Rostgans nur mit der nahe verwandten Graukopf-Kasarka zu verwechseln, die in Nordrhein-Westfalen jedoch nur sehr selten als Neozoon auftritt. Von dieser unterscheidet sie sich jedoch durch die Kopffärbung, die bei der Graukopf-Kasarka – wie der Name schon sagt – grau, bei der Rostgans dagegen blassorange (zimt- bis rahmfarben) ist. Die Weibchen haben bei beiden Arten oft ein weißes Gesichtsfeld. Die Rostgansmännchen zeigen im Prachtkleid einen schwarzen Halsring. Rostgänse sind etwas größer als Stockenten. Im Flug fällt das große weiße Flügelfeld auf, das einen deutlichen schwarz-weiß-Kontrast bildet. Ähnliche Zeichnungen besitzen aber auch die anderen in NRW vorkommenden Halbgänse: Nilgans mit beigem Körper und auffälligem dunklen Augenfleck auf der hellgrauen Kopffärbung und Brandgans mit weißem Körper und rostrotem Brustband, schwarzem Hals und Kopf sowie einem leuchtend roten Schnabel (bei Rostgans schwarz).

Biologie

Rostgänse werden im Alter von 1-2 Jahren geschlechtsreif, brüten aber wohl erstmals im Alter von zwei Jahren. Die in der Regel monogamen Paare sind im Brutgebiet territorial, wobei sich die Nester bei hohem Höhlenangebot auch relativ dicht nebeneinander befinden können (Bauer et al. 2005). Rostgänse brüten einzeln oder in kleinen Kolonien in Höhlen auf oder über dem Boden (z.B. Strohmieten; Kuhn in Team Sammelbericht 2009) oder in Gebäuden (Felsnischen in Ursprungsgebieten). Die größte nordrhein-westfälische Kolonie brütet in Schießscharten einer alten Brücke in der Rheinaue bei Wesel, in die die Vögel mit hochkant gestellten Flügeln einfliegen. Gerne werden auch Schleiereulenkästen in Kirchtürmen angenommen. Am Bodensee und am Hochrhein wurden auch Erd- und Baumhöhlen (Wicht 1998/99, 1999) als Brutplätze festgestellt. In der Regel wird das Nest in Höhlen angelegt und die Vögel verhalten sich während der Brutzeit recht heimlich. Während das Weibchen brütet, wacht das Männchen in der Nähe und alarmiert das Weibchen bei Gefahr. Die Gelegegröße beträgt meist 8-9, in Ausnahmefällen 6-13 Eier. Die Jungen schlüpfen nach 28-29 Tagen und werden von beiden Eltern geführt. Im Alter von 55 Tagen werden die Jungen flügge und oft kurze Zeit später selbstständig (del Hojo et al. 1992, Kolbe 1999, Bauer et al. 2005). Ein Großteil der Nichtbrüter und erfolglosen Brutvögel fliegt vermutlich im Juli in die Niederlande, da dort ab 2010 Maxima von mehr als 600 Individuen registriert wurde (waarneming.nl). Da der niederländische Brutbestand lediglich 5-20 BP umfasst (1998-2000, SOVON 2002) ist anzunehmen, dass es sich bei diesen Ansammlungen um Rostgänse aus NRW handelt. Gleichzeitig werden in NRW nur wenige Rostgänse beobachtet (Sudmann & Doer 2007).

Im Zeitraum Juli bis September findet bei den Altvögeln die Vollmauser statt, wobei die Rostgänse ca. vier Wochen lang flugunfähig sind (Kolbe 1999, Bauer et al. 2005). Die Nahrung besteht überwiegend aus Gräsern und Samen von Kultur-, Steppen- und Wasserpflanzen. Dazu kommen in kleiner Menge Mollusken, Crustaceen, Würmer und Insekten, wobei Dunenjunge überwiegend Insekten und kleine Crustaceen fressen (del Hojo et al. 1992, Kolbe 1999, Bauer et al. 2005). Ausgewachsene Rostgänse haben in Deutschland kaum Feinde. Am Boden befindliche Gelege können vom Fuchs gefressen werden. Dagegen können Küken vielen Beutegreifern zum Opfer fallen (Krähen, Greifvögel, Raubsäuger).

Herkunft und Einwanderungsweg

Das natürliche Verbreitungsgebiet erstreckt sich derzeit von Südosteuropa (hauptsächlich Schwarzmeerküste) und wenigen Stellen in Nordafrika (vor allem Atlas-Gebirge) bis hin zu den Hauptvorkommen in den Steppen Zentralasiens. Dort werden Brackwasserlagunen, salzige Binnenseen und Süßwasserseen bis hinauf ins Gebirge besiedelt. Die Brut erfolgt hauptsächlich in Feldwänden, aber auch auf dem Boden (del Hojo et al. 1992, Bauer et al. 2005). Der europäische Gesamtbestand (zu über 90 % in Russland und Türkei) wird mit 19.000-33.000 Brutpaaren angegeben (BirdLife International 2004). Aufgrund der langfristigen Rückgänge in den meisten Ländern wurde die Art in die Kategorie Vulnerable („verletzbar“) der europäischen Roten Liste und in die Kategorie SPEC 3 eingestuft (BirdLife International 2004). Der Weltbestand wird mit 173.000-223.000 Individuen angegeben (Wetlands International 2012).

Der erste Brutnachweis gelang in NRW am Unteren Niederrhein 1975 in Moers-Rheinkamp im Kreis Wesel (Gaßling in Mildenberger 1982). Es dauerte jedoch gut zehn Jahre bis sich hier ein kleiner Bestand etabliert hatte (Mooij in Wink et al. 2005). Im Jahr 1987 wurde erstmals in der Urdenbacher Kämpe eine Brut nachgewiesen und bis 2000/01 war der Bestand im Süden Düsseldorfs auf 3-5 Brutpaare angewachsen (Leisten 2002). Vermutlich hat es am Niederrhein mehrere Keimzellen gegeben (Wesel, Krefeld, Düsseldorf, Köln - Rhein-Erft-Kreis; Wink et al. 2005), die sich mittlerweile zu einem mehr oder weniger geschlossenen Verbreitungsband entlang der Rheinschiene verbunden haben. Aktuell liegt der Brutbestand in dieser Region bei ca. 100 Paaren (Sudmann et al. 2012).

In Westfalen wurde die erste erfolgreiche Brut 1995 im Bergsenkungsgebiet Marl-Polsum (Kreis Recklinghausen) beobachtet (Langenberg in Kretzschmar 1996). Im Kreis Unna gelangen Ende der 1990er Jahre erste Brutzeitbeobachtungen am Geiseckesee im Ruhrtal (OAG Kreis Unna 2000). In dieser Region bildete sich der bis dato größte westfälische Bestand mit ca. 5 Brutpaaren. Isolierte Einzelbruten fanden zudem im Kreis Borken statt (Sudmann et al. 2012).

Höchstwahrscheinlich stammen alle Brutvögel der nordrhein-westfälischen Population von Gefangenschaftsflüchtlingen ab und eine Eingliederung von Wildvögeln ist unbekannt. Da jedoch Einflüge der Rostgans aus ihren natürlichen Brutgebieten mitunter vorkommen (ein in Kirgisien beringter Vogel wurde am 30.10.1978 in Polen nachgewiesen; Tomialojc & Stawarczyk 2003), kann eine Beteiligung von Wildvögeln nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Lebensraum

Rostgänse zeigen eine sehr hohe Anpassungsfähigkeit und brüten oft in der Nähe von Gewässern unterschiedlichster Art, wobei das Spektrum von Regenrückhaltebecken und Feuerlöschteichen bis hin zu Flüssen, Altarmen und Baggerseen reicht (Sudmann in Sudmann et al. 2012). Bruten können jedoch auch in größerer Entfernung zu Gewässern etwa in Kirchtürmen in Dörfern oder Scheunen in der Agrarlandschaft stattfinden. Im Winterhalbjahr sind sie hauptsächlich auf Gewässern mit Flachwasserzonen und Inseln anzutreffen, wobei die Nahrungssuche auch auf Ackerflächen und seltener Grünland erfolgen kann.

Verbreitung in Nordrhein-Westfalen

Die derzeit auch bundesweit größte Population mit gut 100 BP lebt in der Niederrheinischen Bucht und im Niederrheinischen Tiefland. Von Köln bis zur niederländischen Landesgrenze werden dort vor allem Baggerseen und die Auen von Fließgewässern besiedelt. Östlich hiervon hat sich die Rostgans an der Ruhr im Raum Dortmund angesiedelt. Setzt sich die Bestandszunahme fort, kann in naher Zukunft von einer flächenhaften Besiedlung des Rhein-Ruhr-Raumes ausgegangen werden.

Der Landesbestand betrug in den Jahren 2005-2009 100-120 Brutpaare, was 60 % des deutschen Bestandes entspricht (Sudmann et al. 2012).