Angesichts der großen und fortlaufend zunehmenden Zahl von Neobiota ist ein nach Prioritäten abgestuftes Vorgehen gegen die invasiven Arten angezeigt. Anhaltspunkte über die Invasivität von gebietsfremden Arten liefern staatliche und nichtstaatliche Organisationen weltweit. Sie beschreiben die Auswirkungen eingeschleppter gebietsfremder Arten in der jeweiligen Regionen und die Bedeutung biologischer Eigenschaften wie Mobilität, Vermehrungsrate, Wachstumsgeschwindigkeit oder ökologische Plastizität. Diese Datensammlungen und Bewertungen sind digital und weltweit im Internet abrufbar. Um die Invasivität von Arten abzuschätzen, ist der wertvollste Anhaltspunkt das Verhalten der Art anderenorts ("invades elsewhere?"). Wie verhält sich die Art in vergleichbaren Klimazonen, wie in den Nachbarländern? Wichtige Beiträge zur Risikoabschätzung von verschiedene Organismengruppen liefern darüber hinaus die naturschutzfachlichen Invasivitätsbewertungen des Bundesamtes für Naturschutz, etwa von Gefäßpflanzen (Nehring et al. 2013), Wirbeltieren (Nehring et al. 2015) und aquatischen Pilzen, niederen Pflanzen und Wirbellosen (Nehring et al. 2017). Die Warnliste in Deutschland noch nicht vorkommender invasiver Tiere und Pflanzen (Nehring et al. 2013a) bewertet die Gefahren von 100 in Deutschland noch nicht vorkommenden aber potentiell invasiven Arten.
1 Erste Priorität müssen Prävention und Früherkennung haben. Es gilt die Einschleppung von Arten, in NRW noch nicht vorkommen und die sich bereits in anderen Regionen als problematisch erwiesen haben, durch entsprechende Maßnahmen zu verhindern. Maßnahmen zur Prävention sind verbindlich für die Arten der Unionsliste in Artikel 13 bis 15 der EU-Verordnung 1143/2014 festgesetzt.
Neben Handels- und Einfuhrverboten und liegt ein Schwerpunkt der Präventionsmaßnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Das unbeabsichtigte Einschleppen von Arten, das gezielte Aussetzen von Pflanzen und Tieren oder von Gartenabfällen geschehen oft in Unkenntnis der negativen Auswirkungen und stellen einen bedeutsamen Vektor für das erstmalige Ausbringen gebietsfremder Arten in die Natur dar.
2 Zweite Stufe im hierarchischen Dreistufenkonzept sind die Früherkennung und schnelle Tilgung. Im Anfangsstadium der Invasion müssen alle Vorkommen schnell und konsequent getilgt werden. Insbesondere bei Pflanzenarten existiert hierfür ein ausreichendes Zeitfenster, da zwischen erster Einschleppung und Massenausbreitung in der Regel ein Zeitraum von einigen Jahren bis Jahrzehnten liegt (Time-lag). Das Eingreifen im Verdachtsfall ist wesentlich effizienter und kostengünstiger als das Eingreifen, wenn bereits ein Schaden entstanden ist. Beispiele für das Eingreifen in einem frühen Stadium der Invasion sind die landesweite Kampagne zur Meldung und Bekämpfung der Beifuß-Ambrosie oder die letale Vergrämung des ersten (und NRW-weit bisher einzigen) Freilandvorkommens des Nordamerikanischen Ochsenfrosches.
Erstmalig auftretende oder neue Vorkommen nur kleinflächig oder unbeständig verbreiteter, gebietsfremde Arten (sog. Artikel 16-Arten) der Unionsliste sind unverzüglich gemäß Artikel 16 der EU-Verordnung 1143/2014 an die EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten zu notifizieren. Es sind gemäß Artikel 17 Sofortmaßnahmen zur raschen Tilgung zu prüfen und durchzuführen. Die Sofortmaßnahmen sowie die voraussichtliche Dauer der Maßnahmen sind ebenfalls gemäß Art. 16 anzuzeigen. Nach Durchführung der Maßnahmen ist innerhalb der angegebenen Maßnahmenfrist auf demselben Weg über das Ergebnis zu berichten. Die Notifizierungen aller Bundesländer und Mitgliedsstaaten sind auf dem Notification System des European Alien Species Information Network zu finden.
3 Im fortgeschrittenen Stadium der Invasion ist eine Bekämpfung mit dem Ziel der vollständigen Tilgung in der Regel nicht mehr erfolgversprechend. Bei bereits weit verbreiteten, invasiven Arten sollten Maßnahmen zur Kontrolle und Eindämmung der weiteren Ausbreitung geprüft werden. Einzelpflanzen der Herkulesstaude in bisher Herkulesstauden-freien Gebieten oder Bestände in Quellgebieten und an Flussoberläufen sollten entnommen werden, um einer Besiedlung größerer, bisher unbesiedelter Gebiete vorzubeugen. Die Eindämmung der weiteren Ausbreitung von bereits weit verbreiteten Arten setzt Kenntnis über die Verbreitung, kontinuierliche Beobachtung und langfristiges planvolles Eingreifen voraus. Zum Schutz wertvoller Biotope oder gefährdeter Populationen sind lokale Bekämpfungsmaßnahmen oder Eindämmungsmaßnahmen sowie im Nachgang gezielte Kontrollen erforderlich. Im Hochsauerland ist beispielsweise eines der wenigen nacheiszeitlichen Reliktvorkommens des Alpen-Milchlattichs (Cicerbita alpina) vor der Konkurrenz durch die Herkulesstaude geschützt worden.
Die bereits etablierten und weit verbreiteten prioritären Arten der Unionsliste müssen gemäß Artikel 19 der EU-Verordnung 1143/2014 einem Management unterzogen werden (sog. Artikel 19-Arten). Hierfür werden in Abstimmung mit den anderen Bundesländern Maßnahmenblätter (link zu der Seite Unionslistearten einfügen) erarbeitet und veröffentlicht. Sie geben den Rahmen für das Management vor, das bundeseinheitlich konzipiert sein sollte. Ziel der Maßnahmen ist die wirksame Minimierung von negativen Auswirkungen auf die heimische Biodiversität und Ökosytemleistungen. Bei der Entscheidung über eine Maßnahmenplanung ist eine Maßnahmendauer festzulegen. Die Kosten sind gegen den in Aussicht stehenden Erfolg sowie potentielle Kollateralschäden an Nichtziel-Arten sorgfältig abzuwägen. Auch die Bereitstellung bzw. Erhaltung von Ökosystemdienstleistungen oder die Abwendung wirtschaftlicher Schäden können bei der Entscheidung über Managementmaßnahmen eine Rolle spielen. Dem Tierschutz muss Rechnung getragen werden. Dabei muss aber die Wirksamkeit der Maßnahmen gewährleistet bleiben.
Verschiedene invasive Arten, z.B. die Grobgestreifte Körbchenmuschel, Corbicula fluminea oder der Große Höckerflohkrebs, Dikerogammarus villosus haben sich in den großen Flüssen des Landes stark ausgebreitet und bilden individuenstarke Populationen. Insbesondere in Fließgewässern sind Bekämpfungs- und Tilgungsmaßnahmen kaum möglich. In diesen Fällen ist die Stärkung gefährdeter Arten und Lebensgemeinschaften durch biotopverbessernde Maßnahmen angezeigt, im Übrigen sind die neuen Arten zu akzeptieren. Umso wichtiger sind vorbeugende Maßnahmen gegen invasive Arten zum Schutz der biologischen Vielfalt.